Pflanzenobjekte
Industrieanlagen; großflächig wie ganze Stadtteile, alles durchorganisiert,
jeder Fleck verplant; riesige Beton- und Asphaltflächen aufgelockert durch
Maschinenhallen und Industriegüter. Keine Utopie sondern Wirklichkeit; hier
hat die Erde viel verloren. Es gibt dort auch Lebewesen, nur scheint das erste
Wort dieses Begriffes allmählich zu verschwinden. Menschen arbeiten nach
unbegreiflichen Zielen, Pflanzen fristen ihr Dasein in Hydrokulturen und penibel
angelegten Beeten.
Diese Orte wirken so langweilig, alles ist berechnet, nichts Unerwartetes
wird geschehen (es sei denn, ein GAU in einem Atomkraftwerk).
Pflanzen faszinieren mich. Durch sie wird wieder Leben in stillgelegten Industrieanlagen
sichtbar. Was für Menschen nur mit großem Kraftaufwand durch Maschinen
geschieht, vollbringen Pflanzen spielend in ihrer Zeit. Sie durchdringen Beton-
und Asphaltflächen, sprengen Mauerwerke auseinander, vertilgen lautlos
die Altlasten der Vorbesitzer. Durch ihr Auftreten an unerwarteten Orten, ihrer
Vielzahl und Unordnung, ihrem Wechsel zu den Jahreszeiten und ihrem Geruch hauchen
sie dem Gelände ein Gefühl von Freiheit und bessere Luft ein.
Auch sie erzählen, wie meine Industriefundstücke, von ihrem Leben,
sichtbar durch die Spuren ihrer Wurzeln im Mauerwerk und Asphalt, das Verschlingen
von Drahtzäunen und Umranken von humusarmen Industrierelikten.
Eine Hommage an diese Pflanzen bilden meine Pflanzenobjekte aus Industriefundstücken,
wobei mir die Ästhetik der einzelnen verwendeten Stücke sehr wichtig
ist.
Existiert da nicht eine verblüffende Ähnlichkeit von der Ästhetik
meiner Fundstücke zu der von wildwachsender Pflanzen?
Meine Industrieteile sind sich überlassen worden, sie konnten im Laufe
der Zeit selber „wachsen“, und zwar wild, ohne bewußtes Eingreifen
oder Formen durch den Menschen in Hinblick auf die Züchtung ästhetischer
Objekte:
Einst gerade Eisenträger winden sich wie die Stiele von Rankpflanzen, glatte
metallene Bleche wölben sich wie Blätter, der nagende Rost hat Oberflächen
aufgerissen und Ränder ausgefranst, stark verbeulte Teile ähneln Blüten.
Durch die Kombination und das Zusammenstellen einzelner „frei gewachsener“ Fundstücke
verschmelze ich wildwachsende Pflanzen und stillgelegte Industriegelände
zu Pflanzenskulpturen, mit all ihrer Symbolik, Freiheit und Kraft jener zu neuem
Leben erwachenden Industriebrachen. Der Humus, die Blumentöpfe, die Hydrokulturbehälter
meiner Skulpturen sind riesige zerbrochene Kabeltrommeln, Pumpengehäuse
und verwitterte Holzschwellen. So gestalte ich eine authentische Symbiose mit
der eigentlichen Pflanze.
Mit Abstand betrachtet zeigen meine Skulpturen Leichtigkeit und sanfte Wildheit
in ihren natürlichen Formen, Pflanzen aus einer exotischen Welt.
Betrachtet man sie näher, ist Vorsicht geboten; Die leicht knickbar wirkenden
Stiele und Stämme sind aus hartem Eisen, ausgefranste Kabelteile sind spitz
wie Nadeln, das Nest des Provenienz (im „Funkie“-Baum) ist aus Stacheldraht
geflochten und Blüten werden zu riesigen Mäuler fleischfressender
Pflanzen.
Das ganze Szenario ist eine Mischung aus „Dynosaurier“-Ausstellung
und Science Fiktion. Der Betrachter kommt nicht umher, sich Gedanken zu machen.
Die Einzelteile der Ungetüme sind mittels seiner Arbeitskraft und seinem
Willen geschaffen worden; jetzt haben sie sich verselbstständigt und wirken
bedrohlich, nicht mehr beherrschbar.
(Vorsicht bei der fünf Meter großen fleischfressenden Pflanze „Audrey“,
deren zwei Meter große Blütenblätter pneumatisch auf und zu
klappen und locker den Betrachter verschlingen könnten.)
Im Kampf ums Überleben in einer der Pflanzen unnatürlichen Welt
ist eine neue Vegetation aus den industriellen Überresten menschlichen
Fortschrittglaubens entstanden. Aus längst totgeglaubten verwitterten Normteilen
der Schwerindustrie haben sich Mutanten formiert, die außer ihrer Schönheit
auch Immunität vorweisen, um ihre Daseinsberechtigung zu verteidigen.
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